Historischer Tag mit Freudentränen - Ende des Gaza-Kriegs?
Veröffentlicht: Donnerstag, 09.10.2025 17:51

Nahost
Tel Aviv/Gaza (dpa) - Ein Ende des Gaza-Kriegs scheint nach dem Durchbruch bei den Friedensverhandlungen zum Greifen nah. Israel und die Terrororganisation Hamas stimmten in einem als «historisch» gefeierten Moment der ersten Phase des Friedensplans von US-Präsident Donald Trump zu. Trump bezeichnete das Abkommen als ersten Schritt «hin zu einem starken, dauerhaften und ewigen Frieden. Alle Parteien werden fair behandelt!», schrieb er auf der Plattform Truth Social.
Das Abkommen sieht vor, dass alle 48 israelischen Geiseln binnen 72 Stunden freikommen oder ihre Leichen in die Heimat übergeführt werden, rund 2.000 palästinensische Häftlinge freigelassen werden und sich Israel auf eine bestimmte Linie zurückzieht. Eine Waffenruhe sollte nach Billigung der Übereinkunft durch das israelische Kabinett in Kraft treten. «Wir alle haben schon viel zu lange auf diesen Moment gewartet. Jetzt müssen wir es hinbekommen, dass er wirklich zählt», sagte UN-Generalsekretär António Guterres.
Die israelische Regierung wollte noch am Abend das endgültige grüne Licht geben. Von diesem Zeitpunkt an würden auch die vereinbarten Fristen laufen.
Hoffnungen auf Stabilität für gesamte Region
Die Einigung löste unter Israelis wie unter Palästinensern große Erleichterung aus. Sie wurde auch international und vor allem im Nahen und Mittleren Osten gefeiert. Die zwei Millionen Menschen im Gazastreifen können nach langer Zeit großen Leidens nun mit umfangreicher humanitärer Hilfe rechnen.
«Dies ist ein diplomatischer Erfolg und ein nationaler und moralischer Sieg für den Staat Israel», sagte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Israels Militär wird den Angaben zufolge nach dem Rückzug hinter besagte Linie weiterhin 53 Prozent des Gazastreifens kontrollieren. Netanjahu forderte für Trump den Friedensnobelpreis.
Feiern im Gazastreifen und in Israel
Die Angehörigen der Geiseln und viele Palästinenser im Gazastreifen feierten erleichtert das mögliche Ende des seit zwei Jahren dauernden Kriegs mit Zehntausenden getöteter Zivilisten.
Im Gazastreifen brachen nach Bekanntwerden der Einigung Jubelszenen aus. Der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira zeigte Bilder von feiernden Menschen in Chan Junis. Junge Männer trugen sich gegenseitig auf den Schultern, andere tanzten und spielten Musik. «Meine erste Reaktion war, hemmungslos zu weinen», sagte Mohammed Abu Auda im Gazastreifen der Deutschen Presse-Agentur.
Auch in Tel Aviv, auf dem sogenannten Geiselplatz, versammelten sich Menschen mit strahlenden Gesichtern, fielen sich in die Arme und stießen an. Einige schwenkten israelische und US-Flaggen. «Alle von ihnen - jetzt!», riefen sie zudem. Bei vielen ist die Erleichterung auch von Vorsicht begleitet. «Wir sind auch immer noch angespannt und hoffen, dass alles so läuft wie geplant», sagte ein Israeli.
Der Krieg war eine Reaktion Israels auf das von der Hamas und anderen islamistischen Terrorgruppen begangene Massaker an israelischen Zivilisten im Oktober 2023.
Merz: «Die Entwicklung in Israel macht uns Mut»
Das Abkommen weckte Zuversicht in der gesamten Region. Es öffne «das Tor der Hoffnung für die Völker der Region – für eine Zukunft, die von Gerechtigkeit und Stabilität geprägt ist», so Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi in einem Post auf X. Der Deal biete eine Chance zur Versöhnung und zur Heilung und eröffne neue Perspektiven für die Region, sagte Israels Präsident Izchak Herzog. «Die Entwicklung in Israel macht uns Mut», sagte Kanzler Friedrich Merz (CDU).
Spitzenvertreter der EU kündigten nach dem Durchbruch bei den Verhandlungen Hilfe an. Die EU werde weiterhin die schnelle und sichere Lieferung humanitärer Hilfe in den Gazastreifen unterstützen, teilte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit. Und wenn die Zeit reif dafür sei, werde die EU auch bereitstehen, um den Wiederaufbau zu unterstützen.
Deutschland will gemeinsam mit Ägypten zu einer Wiederaufbaukonferenz einladen. «Das wird aber eine politisch breiter angelegte Konferenz sein müssen, die auch den politischen Rahmen mit vorzeichnet für den Gazastreifen und die natürlich immer im Blick hält, dass am Ende eine Zweistaatenlösung wird stehen müssen», sagte Außenminister Johann Wadephul (CDU) am Rande einer Westbalkankonferenz in der nordirischen Hauptstadt Belfast.
Großer Druck auf Konfliktparteien
Die Einigung müsse das Ende des Konflikts und den Beginn einer politischen Lösung auf der Grundlage der Zweistaatenlösung markieren, forderte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Als wesentlicher Grund für den Erfolg gilt der große Druck, den Trump auf Netanjahu ausgeübt hat. Vermittler-Staaten wie Ägypten und Katar hatten dem Trump-Plan zugestimmt und damit ihrerseits die Hamas unter Druck gesetzt.
Die Vereinbarung betrifft nur die erste Phase des US-Friedensplans. In einer zweiten Verhandlungsphase sollen Bedingungen geschaffen werden, die einen langfristigen Frieden sichern. Dazu gehören der vollständige Rückzug israelischer Soldaten aus Gaza, sobald eine internationale Stabilisierungstruppe (ISF) für Sicherheit sorgt sowie eine Übergangsregierung palästinensischer Technokraten unter internationaler Aufsicht.
Unklar bleibt, welche Rolle die Hamas in der zukünftigen Verwaltung des Gazastreifens spielen wird. Auch um eine Entwaffnung der Terrororganisation wird es erst zu einem späteren Zeitpunkt gehen. Laut ägyptischen Angaben hat die Hamas Israel angeboten, den Einsatz ihrer Waffen im Rahmen des US-Friedensplans für Gaza «einzufrieren», diese aber nicht ganz abzugeben.
Trump plant Reise nach Israel
US-Präsident Trump hatte schon vor der Einigung einen möglichen Besuch in Israel am Wochenende ins Gespräch gebracht. Es scheint klar, dass er diesen diplomatischen Erfolg auskosten und weitere Schritte zum Frieden mit seinem sichtbaren Engagement absichern will.
In den zwei Jahren des Gaza-Kriegs hatte es mehrere Verhandlungsrunden und Abkommen gegeben. So einigten sich beide Seiten Ende November 2023 auf eine erste Waffenruhe und auf eine Freilassung von 105 Geiseln und 240 palästinensischen Häftlingen. Im Mai 2024 präsentierte US-Präsident Biden einen dreistufigen Plan für eine Waffenruhe. Eine im Januar vereinbarte Waffenruhe wurde noch wenigen Wochen gebrochen. Seit 1. Oktober war konkret über den Trump-Friedensplan verhandelt worden.
